Diabetes
Zucker das unbekannte Gift:
Keine Erkrankung hat eine so dramatische Veränderung von der „milden Alterserkrankung“ zum künftigen „Killer Nummer 1“ durchgemacht wie der Typ-2-Diabetes, der gut 95 Prozent aller Zuckerkrankheiten ausmacht.
Derzeit gibt es weltweit rund 150 Millionen Diabetiker, im Jahr 2025 sollen es mehr als 220 Millionen sein. In Deutschland leben etwa sieben Millionen Zuckerkranke, allerdings ist womöglich ein nicht unerheblicher Teil noch nicht erkannt.
Hier erleidet alle fünfzehn Minuten ein Diabetiker einen Herzinfarkt, alle vierzig Minuten einer einen Schlaganfall, alle fünfzehn Minuten wird einem Zuckerkranken ein Zehenglied oder ein Teil des Fußes amputiert, alle eineinhalb Stunden erblindet einer. Die Kosten für die Behandlung des Diabetes belaufen sich in Deutschland jährlich auf sechzig Milliarden Euro, so eine der Berechnungen. Auf einem in Wiesbaden stattgefundene Internistenkongreß gab es täglich Veranstaltungen rund um die drohende Diabetesepidemie. Mitunter kämpften die Ärzte um jeden Stehplatz, was die Brisanz des Problems augenfällig verdeutlicht.
Diabetes gilt längst nicht mehr als Alterskrankheit
Achtzig Prozent der Diabetiker versterben aufgrund kardiovaskulärer Erkrankungen, etwa an einem Herzinfarkt. Viele wissen vorher nicht um ihre Stoffwechselentgleisung. Bei rund einem Drittel aller Patienten, die wegen eines Herzinfarktes in die Klinik kommen, war der Diabetes zuvor nicht bekannt. Während früher die Ziele der Diabetes - Therapie darauf ausgerichtet waren, Folgeschäden wie das Nierenversagen, die Augenschäden oder die Amputation zu verhindern, soll ihr Erfolg inzwischen vor allem an der Verringerung des Herzinfarkt - und Schlaganfallrisikos gemessen werden.
Ob man dies eher erreicht, wenn man früher als bisher auf Insulin statt allein auf Tabletten setzt, ist derzeit noch nicht klar entschieden. Die Zwischenergebnisse einer der jüngsten Studien zur Insulintherapie bei Typ – 2 - Diabetikern mit bereits bestehenden Gefäßschäden lassen zumindest erkennen, dass der frühere Beginn erheblich seltener mit einer Gewichtszunahme und Unterzuckerungen einhergeht, als dies sonst zu erwarten ist. In Deutschland dauert es jedenfalls lange - im Durchschnitt fast zehn Jahre nach Diagnoserstellung - bis man Insulin zur Behandlung verwendet.
Gift für die Gefäße
Die Zahl der an Diabetes erkrankten steigt enorm an.
Der Schaden, den erhöhter Blutzucker im Laufe der Zeit an den Gefäßen anrichtet, ist nicht mehr zu leugnen. Markolf Hanefeld, Direktor des Forschungsbereiches Endokrinologie am Zentrum für Klinische Studien der Universität Dresden, legte dar, dass die Ziele, die man bei der Diabetestherapie anstrebt, immer höher gesteckt und die Blutzuckerwerte immer mehr nach unten korrigiert werden müssen. Früher galt ein HbA1c-Wert von unter sieben als Maßstab für die Zuckerlast der letzten Monate bei der Überwachung des Diabetikers bereits als gut, wenngleich er selten erfüllt wurde. Es zeichnet sich ab, daß eher ein Wert von 6,0 zur Vorgabe gemacht werden sollte.
Bei einem hohen, aber noch als normal definierten Nüchternblutzuckerspiegel nahe am Grenzwert von hundert Milligramm pro Deziliter ist bereits ein Risiko für die Gefäße nicht mehr auszuschließen. Das gilt erst recht, wenn diese Grenze überschritten wird, und vor allem gilt es für jene Spitzenwerte, die nach den Mahlzeiten verzeichnet werden. Warum selbst ein geringer Zuckerüberschuß geradezu Gift für die Gefäße ist, kann Johannes Waltenberger von der Abteilung Vascular and Molecular Cardiology der Universitätsklinik in Maastricht auf molekularer Ebene der Endothelzellen, der Innenauskleidung der Gefäße, verdeutlichen.
Seine Arbeitsgruppe hat nachgewiesen, daß Glukose dort jene Signalkette unterbricht, die die Fortbewegung der Zellen und somit die Fähigkeit zur Regeneration der Gefäßwand einschränkt. Während bei niedrigen Blutzuckerspiegeln fast alle Zellen ihr inneres Zytoskelett verändern und Lamellopodien bilden, bringt dies unter Einfluß von zuviel Zucker nur noch ein Fünftel zustande.
Gefahr Übergewicht
Das geschieht lange bevor der Diabetes beginnt. Die Bauchspeicheldrüse versucht über Jahre durch Steigerung der Insulinabgabe den Zucker unter Kontrolle zu halten, und ist bei Eintritt des Diabetes bereits erschöpft, sie hat die Hälfte und mehr von ihrer Funktion eingebüßt. Auf dem Weg dorthin lädt sich der Organismus zumeist noch weitere Risikofaktoren auf, vornehmlich sind das Bluthochdruck, ein an vielen Stellen gestörter Fettstoffwechsel, zu hohes LDL-Cholesterin etwa und zuwenig schützendes HDL-Cholesterin.
Andreas Hamann, Leiter der Diabetes-Klinik in Bad Nauheim, warnte davor, angesichts dieser Diskussion die eigentliche Bedrohung zu übersehen. Selbst wenn noch kein Diabetes vorliegt, haben die Betroffenen ein Risiko von bis zu zwanzig Prozent, in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt zu bekommen. Seinen Ausgang nimmt dieser Zustand in aller Regel beim Übergewicht, etwa vier Fünftel aller Diabetiker sind übergewichtig, und rund zwei Drittel aller Übergewichtigen enden beim Diabetes. Es ist vor allem das Fett im Bauchraum, das stört, nicht das über die gesamte Unterhaut verteilte Fettgewebe.