Reizdarm
Störungsbild
Das Reizdarmsyndrom RDS (Synonyme: Colon irritabile, irritables Darmsyndrom, spastisches Colon) ist durch Bauchschmerzen definiert, welche mit Stuhlunregelmäßigkeiten und/oder Blähungen einher gehen, ohne daß eine strukturelle oder biochemische Läsion des Darmes wie Entzündungen oder Neoplasien nachweisbar ist. Aus gastroenterologischer Sicht wird das Reizdarmsyndrom den funktionellen gastrointestinalen Störungen zugeordnet . Das Beschwerdebild ist oft nicht allein, wie der Name sagt, auf dem Dickdarm begrenzt. Häufig liegen weitere Beschwerden des oberen Gastrointestinaltraktes wie Aufstoßen, Sodbrennen und Übelkeit vor, ohne dass auch hier eine zugrunde liegende strukturelle oder biochemische Störung gefunden werden kann (sogenannter Reizmagen).
Aufgrund der Art der Beschwerdeschilderung, des Vorliegens weiterer Symptome vegetativer Stimulation (Hitzewallungen, Errötung, Schwitzen, Herzklopfen, Zittern) der Arzt-Patienten-Interaktion (Beharren auf organische Ursachen der Störung) erfüllt ein Teil der Patienten mit der gastroenterologischen Diagnose eines Reizdarmsyndroms die ICD 10-Kriterien einer somatoformen autonomen Störung des unteren Gastrointestinaltraktes. Ein kleinerer Teil der Patienten erfüllt aufgrund weiterer körperbezogener Beschwerden die Kriterien einer Somatisierungsstörung, bzw. einer undifferenzierten Somatisierungsstörung
Häufigkeit und Schweregrad: 14 bis 18 % aller Menschen in den westlichen Industrieländern erfüllen die Kriterien eines RDS. Nur 20 % der Betroffenen suchen wegen der Beschwerden einen Arzt auf. Bis zu 70 % der Patienten in einer gastroenterologischen Diagnostik sind RDS-Patienten. Das Ausmaß der Beschwerden und der Einschränkungen im Alltag ist unterschiedlich. Unter klinischen Gesichtspunkten wird eine leichtgradige Form des RDS (gelegentliche Beschwerden ohne Beeinträchtigung der Alltagsfunktionen), eine mittelgradige Form (häufige Beschwerden mit gelegentlichen Beeinträchtigungen der Alltagsfunktionen), sowie ein schwergradiges RDS (anhaltende Beschwerden mit dauerhafter Einschränkung der Alltagsfunktionen) unterschieden.
Ursachen des RDS:
Dem RDS liegen wahrscheinlich verschiedene Pathomechanismen zugrunde, die bei einzelnen Patienten unterschiedlich ausgeprägt sein können und somit Art und Schwere der Symptomatik bestimmen. Gesichert ist der Pathomechanismus einer viszeralen Hyperalgesie: Empfindungen aus dem Gastrointestinaltrakt (z. B. Luftfüllung des Darmes), welche von Gesunden überhaupt nicht bzw. nicht als schmerzhaft wahrgenommen werden, werden von Reizdarmpatienten als schmerzhaft erlebt. Bei ca. 2/3 der Reizdarmpatienten lässt sich eine erniedrigte Schmerzschwelle im Rektum nachweisen, welche wahrscheinlich durch psychologische Faktoren (selektive Aufmerksamkeit für und negative Bewertung von gastrointestainalen Stimuli) bedingt ist. Psychologische Faktoren sind pathophysiologisch wahrscheinlich (psychosomatische Erkrankungen): Die Entscheidung, auf Grund der genannten gastrointestinalen Beschwerden überhaupt einen Arzt aufzusuchen, wird durch psychologische Faktoren (Angst, erlerntes Krankeitsverhalten) bestimmt. Stress (Alltagsbelastungen, belastende Lebensereignisse) können Reizdarmsymptome auslösen oder verschlimmern. Die genannten psychologischen Faktoren beeinflussen jedoch das Erleben der Erkrankung und das Krankheitsverhalten und damit die Schwere der Erkrankung.